Als Zürcher Queer-Tango-Tänzerinnen und Tänzer und als Teil der globalen Queer-Tango-Gemeinschaft nehmen wir Elemente direkt aus dem traditionellen Tango und entwickeln sie weiter, so dass sie unseren Bedürfnissen entsprechen. Dabei schaffen wir nicht-traditionelle Aspekte des Tangos, die für LGBTQ-Tanzende geeignet sind. Ist dies eine Einbahnstrasse? Oder beeinflusst und fördert der Queer Tango umgekehrt auch die Entwicklung des traditionellen Tangos? Wir haben Euch gefragt und im Folgenden einige Eurer aktuellen Gedanken und Überlegungen zusammengestellt.
Warum Queer Tango?
„Beiden Rollen zu tanzen ist eine Erweiterung und Bereicherung. Ich würde sogar sagen, der Tango ist für Jemanden erst komplet, wenn beide Rollen getanzt werden. Leider sind für viele TänzerInnen Rolle und Gender (zu) fest verbunden. Natürlich geniesse ich es als schwulen Mann umso mehr, mit einem Mann zu tanzen; was mir aber am wichtigsten ist, ist eine schönen Tanda zu erleben, egal welche Rolle und welches Gender der oder die PartnerIn hat.“ Alain Zurbuchen
„Mit der Auflösung der normativen Geschlechterrollen wird (für mich) die Kommunikation im Tanz vielfältiger und gleichwertiger.“ Barbara Käser
„Der Tango hat so viele Gesichter wie Menschen, die ihn tanzen. Der Mensch hat so viele Gesichter, wie er zulässt. Ich mag es, meinem inneren Völkchen Raum zu gewähren, zu leben, wie es ihm beliebt.
Queer ist einer dieser Freiräume, wo ich zwischen Rollen switchen kann. Queer vervielfacht die Interaktiosmöglichkeiten mit dem Gegenüber, erweitert den Erfahrungshorizont. Eine veritable Frischzellenkur – so bleibt der Tango lebendig und erfindet sich immer wieder neu.“ Daniela Huser
Jemand von Euch sagte auch, dass wir möglicherweise zwischen sozialen und leidenschaftlichen Tandas und Kulturen unterscheiden müssen, oder zwischen offenen und engstirnigen und nicht nur zwischen LGBTQI- und Heterokulturen. Und Ihr habt vorgeschlagen, diese Frage neu und auf nicht-binäre Weise zu stellen.
Welchen Einfluss hat Queer Tango?
Einige von Euch haben gesagt, dass der Einfluss des Queer Tango auf den traditionellen Tango weniger das Wachstum als vielmehr die Qualität betrifft. Ihr habt zum Beispiel gesehen, dass die Toleranz in der traditionellen Tango Gemeinschaft zugenommen hat.
Ihr habt auch gesagt, dass der Queer Tango dazu beitragen kann, traditionelle Rollen und Regeln in der breiteren Tango-Gemeinschaft aufzubrechen, und dass diese Erweiterung der Perspektiven den Tanz zu einer besseren Erfahrung für alle machen kann. Mit Euren Worten: "Tango sollte ein Tanz für alle sein, unabhängig von der sexuellen Orientierung. Die Freude am Tanz und der Enthusiasmus kennen kein Geschlecht und keine Zugehörigkeit - jeder kann und sollte die Rolle im Tanz übernehmen, die zu ihr oder ihm passt und Freude bereitet. Dem ‚Tango‘ ist es egal, wer ihn tanzt - Hauptsache, man spürt die Freude und Leidenschaft. Die LGBT-Community kann selbstbewusst auf ihre Einzigartigkeit verweisen - es gibt für uns keine Grenzen - wir sind offen und frei".
Mit frischen Bildern und seiner Ausstrahlung zieht der Queer Tango mit Sicherheit Tänzer aus Bevölkerungsgruppen an, die bei der Schaffung neuer Generationen von Tangotänzern oft übersehen werden.
„Queer Tango hat sicher einen Einfluss auf das Wachstum und die Entwicklung des Tangos. Da beim Queer Tango die Tanzpartner oft führen und folgen können, wird die Rolle des Gegenübers bewusster wahrgenommen. Man kann sich darüberhinaus einfacher in die Tanzpartnerin oder den Tanzpartner versetzen, sich vorstellen, was die andere Person beim Tanzen empfindet.
Je mehr gleichgeschlechtliche Paare in einer traditionellen Milonga tanzen, desto mehr bietet das traditionellen Tangotänzern* Ansporn, es gleich zu tun [und mehrere Rollen zu erproben]. Es ergeben sich mehr Möglichkeiten, den Tango zu erleben und das Können zu verbessern. Und dies führt zu einer selbstbewussteren Haltung, sich in der Tangowelt zu bewegen. Dies führt wiederum zu mehr Tango Tanzenden.” Isabelle Macciacchini
Queer Tango hilft nicht nur, das Verständnis und das Können zu verbessern, Queer Tango stellt auch die Geschlechterrollen direkt in Frage. Das Tango-Lexikon enthält inzwischen gebräuchliche Phrasen wie "Queer Tango", "Open-Role", "Same-Sex", "Women Leaders", "Male Followers", "Role Exchange" und "Intercambio", und es gibt Kurse/Workshops die sich auf diese Tangothemen konzentrieren. Vielleicht reflektiert die Queer-Tango-Gemeinschaft damit auch eher eine fortschrittliche Zürcher Gesellschaft, da es bei ihr nicht auf Geschlecht, Sexualität oder Rolle ankommt, sondern vielmehr auf die Qualität des Tangos Erlebnisses.
„Der Tango hat sich mit dem Wandel der Zeit verändert. So wie heute mehr Frauen als früher in einer Büroumgebung arbeiten, während sich mehr Männer als früher um Kinder kümmern. Ich denke, dass Menschen unabhängig vom Geschlecht im Tango beide Rollen tanzen können sollten, wie das bei vielen Queer-Tango-Tänzerinnen und -Tänzern der Fall ist. Wenn man beide Rollen im Tango ausdrücken kann, ist dies meiner Meinung nach ideal für traditionelle wie auch für Queer-Tango-Tanzende. Ich bin eine Frau und agiere meistens als Folgende, aber ich glaube, in meinem Körper steckt der Macho eines Führenden. Ich glaube, es ist der Reiz des Tangos, dass ich mich innerlich und äußerlich voll und ganz zeigen kann. Wenn man beide Rollen gut einnehmen kann, kann man meiner Meinung nach am freisten und glücklichsten Tango tanzen. Das liegt daran, dass viele, wenn nicht alle Menschen das Potenzial haben, beide Rollen zu spielen. Von diesem Standpunkt aus gesehen können Alle - Führende oder Folgende - den Tango auf die Ebene der Kunst bringen, wo sie beide Rollen wie Queer-Tango-Tanzende ausdrücken können.
Heute wollen viele Tangotänzerinnen und Tangotänzer alle Details des Tangos kennen, unabhängig von Geschlecht oder Rolle. Die Menschen wollen alles über den Tango lernen, seine Aspekte für Führende und für Folgende. Ich denke, dies wird den Tango neu definieren - wegen des Queer Tangos. Wir beobachten den Queer Tango mehr als früher". Doy Jeung
Was hält die Zukunft bereit?
„Seit Generationen diskutieren wir in der Mainstream Tangoszene, wie die fixierten und überholten Geschlechterrollen im Tango zu ändern wären. Doch bis jetzt ist es uns kaum gelungen, die Muster zu durchbrechen. Die Queer Tango Szene hat von Grund auf einen anderen Ansatz. Sie bietet der Mainstream Tangoszene eine funktionierende, fröhliche Alternative und kann ein Vorbild für Veränderungen sein.“ Karin Schneider